Wenn der Erwachsene fehlt – über kindliche und kalte Reaktionen in Beziehungen

Kennen Sie solche Situationen?
Neulich hat mein Freund wieder vergessen, dass wir etwas abgemacht hatten. Er sagte, er sei im Büro so gestresst gewesen – und ich glaubte ihm das sogar. Trotzdem war ich enttäuscht; ich hatte mir ja extra Zeit für ihn genommen. Als ich ihn darauf ansprach, reagierte er zunächst beleidigt wie ein kleiner Junge, dann kalt, als würde er sich über jede Nähe erheben.

Beides liess mich ratlos und allein gelassen zurück.

Solche Reaktionen sind erstaunlich häufig. In der Psychologie spricht man von den drei Ich-Zuständen: dem Kind-Ich, dem Eltern-Ich und dem Erwachsenen-Ich.



Das Kind-Ich reagiert impulsiv, verletzt oder trotzig – sagt Dinge wie: „Du liebst mich wohl gar nicht richtig!“ oder „Immer bin ich schuld!“
Manchmal versucht es auch, die Situation herunterzuspielen, so als wäre alles gar nicht so schlimm und der andere übertreibe – nur um den eigenen Schmerz nicht fühlen zu müssen.

Das Eltern-Ich wird kontrollierend, kritisierend oder besserwisserisch – es klingt dann etwa so: „Deine Erwartungen sind viel zu hoch!“ oder „So kannst du doch nicht mit mir reden!“
Wer sich innerlich schuldig fühlt, sucht oft Schutz in Überlegenheit.

Das Erwachsenen-Ich hingegen bleibt ruhig, nimmt die Situation wahr, erkennt die eigenen Gefühle – und die des anderen – und sucht nach einer Lösung, die der Realität entspricht.

In Momenten, in denen einer von uns vergisst, was wir verabredet haben, wäre das Erwachsenen-Ich gefragt: Es könnte sagen: „Ich verstehe, dass du viel Stress hattest – aber mir war diese Verabredung wichtig.“

Doch oft übernehmen andere Anteile das Steuer: das verängstigte Kind, das sich ungeliebt fühlt, oder der harte Erwachsene, der sich durch Kühle schützt.
Dann reden nicht zwei reife Menschen miteinander, sondern zwei verletzte Systeme, die gelernt haben, sich lieber hilflos zu verstecken, zu kämpfen oder zu fliehen als zu fühlen.

Manchmal wird in solchen Momenten sogar mit Beziehungsabbruch gedroht oder die Ernsthaftigkeit der Beziehung heruntergespielt – nicht, weil man den anderen wirklich verlieren will, sondern um sich selbst zu schützen. „Bevor du mich wieder enttäuschst, geh ich lieber zuerst.“ Oder: „Damit ich nicht wieder deine Erwartungen enttäusche und mich schlecht fühle, ziehe ich mich lieber vorgängig aus der Verbindung zurück.“

Diese Haltung ist kein böser Wille, sondern ein altes Überlebensmuster:
Wer in seiner Jugend gelernt hat, dass Nähe weh tun kann, zieht sich lieber zurück, bevor der Schmerz wiederkommt.

Dabei könnte es so einfach beginnen: mit einer ernstgemeinten Entschuldigung oder einer kleinen Geste/Geschenk, was sagt: Ich sehe dich. Ich übernehme Verantwortung, ich habe einen Fehler gemacht. Bitte verzeih mir. Ich will wieder in Kontakt kommen. Bitte hab mich lieb, auch wenn ich manchmal seltsam reagiere.

Eine ehrliche Entschuldigung öffnet die Tür, durch die das Erwachsenen-Ich wieder eintreten kann – auf beiden Seiten.

Denn Entwicklung in Beziehungen heisst nicht, nie wieder kindisch oder kalt zu reagieren.
Sie beginnt damit, zu merken, wer gerade spricht – und den Mut zu haben, den Erwachsenen wieder an den Tisch zu holen.