Wenn man in der Partnerschaft nichts mehr richtig machen kann – Warum wir in Beziehungskrisen durch eine negative Brille schauen

Kommt Ihnen das bekannt vor? In einer Beziehungskrise scheint plötzlich alles falsch zu laufen. Egal, was man sagt oder tut – es wird missverstanden oder negativ gedeutet. Gut gemeinte Gesten wirken verdächtig, gewohnte Verhaltensweisen werden kritisiert. Was geschieht in solchen Momenten auf psychologischer Ebene?.


Die Macht der Verzerrung

Negative Reize werden stärker wahrgenommen als positive. Man spricht auch von

Negativity Bias oder kognitiver Verzerrung. Dieser Mechanismus hat wahrscheinlich evolutionäre Wurzeln: Um zu überleben, mussten Gefahren früher schnell erkannt und ernst genommen werden. In Partnerschaften wirkt dieser Filter allerdings destruktiv. Während einer Beziehungskrise verändert sich die selektive Wahrnehmung: Positive Verhaltensweisen werden tendenziell ausgeblendet, während negatives Verhalten überbewertet wird.

Hinzu kommt der Confirmation Bias – die Tendenz, Informationen so zu deuten, dass sie bestehende Überzeugungen bestätigen. Wer zum Beispiel einmal glaubt, der Partner sei „egoistisch“, wird vor allem solche Verhaltensweisen wahrnehmen, die dieses Bild stützen.

In Beziehungskrisen neigen Menschen ausserdem dazu, das Verhalten des Partners auf dessen Persönlichkeit oder Absicht zurückzuführen, während sie das eigene Verhalten eher mit äusseren Umständen wie z.B. Stress erklären. Man spricht dabei vom sogenannten Attributionsfehler. Beispiel: „Sie ist absichtlich kalt.“ statt: „Vielleicht ist sie überfordert.“


Verborgene Verletzungen wirken fort

In langjährigen Beziehungen sind es oft nicht die aktuellen Konflikte, die dominieren, sondern alte, nicht verarbeitete Verletzungen. Wenn Menschen sich über längere Zeit hinweg abgelehnt, nicht gehört oder entwertet fühlen, verändert sich das Bindungsverhalten. Der Körper und die Psyche schalten in einen Selbstschutzmodus – mit typischen Reaktionen wie Rückzug, Angriff oder emotionaler Abstumpfung.


Kommunikationsmuster und Eskalationsspiralen

Sind diese Tendenzen aktiviert, entstehen oft negative Feedback-Schleifen: Jede Reaktion löst eine weitere destruktive Reaktion aus. Besonders schwierig wird es, wenn selbst wohlwollende Signale mit Misstrauen interpretiert werden („Jetzt ist er nett – was will er von mir?“).

Ein typisches Eskalationsmuster, das Beziehungen langfristig untergräbt:

  1. Kritik – häufig in Form von persönlichen Vorwürfen statt konkreten Wünschen,
  2. Verteidigung – statt aufeinander einzugehen, erfolgt Rechtfertigung mit Gegenvorwürfen,
  3. Verachtung – durch Sarkasmus, Spott oder Abwertung,
  4. Mauern – emotionale Distanzierung.

Was Paare tun können: Wege aus dem Teufelskreis

Trotz solcher Dynamiken bedeutet dies nicht zwangsläufig das Ende der Beziehung. Es gibt konkrete Schritte, mit denen Paare den Negativfilter durchbrechen können:

  1. Metakommunikation: Sprechen Sie nicht nur über die Streitpunkte, sondern auch über den Konflikt. Wie wird gestritten? Welche Muster wiederholen sich?
  2. Gefühle benennen statt Schuld zuweisen: „Ich fühle mich traurig“ wirkt verbindender als „Du enttäuschst mich immer“.
  3. Positive Interaktionen bewusst fördern: Studien zeigen: Etwa drei bis fünf positive auf eine negative Interaktion stabilisieren die Beziehung.
  4. Paartherapie oder Beratung: Eine neutrale dritte Person kann helfen, festgefahrene Sichtweisen aufzulösen.
  5. Achtsamkeit, Selbstreflexion und Stressregulation: Wer mit den eigenen Emotionen besser umgeht, reagiert auch in der Beziehung gelassener.

Fazit: Wahrnehmung ist keine Realität

Wenn es scheint, als würde der Partner „nichts mehr richtig machen“, liegt das meist nicht alleine an tatsächlichem Fehlverhalten, sondern an einem gestörten emotionalen Klima und einer verzerrten Wahrnehmung. Die gute Nachricht: Wahrnehmung ist veränderbar. Mit Ehrlichkeit, Offenheit, Kompromissbereitschaft und professioneller Unterstützung können Paare lernen, einander wieder unvoreingenommener zu begegnen – mit tolerantem Blick und offenem Herzen.

Wir unterstützen Sie gerne dabei!

Dr. Rebekka Utzinger