Der Narzisst, die Liebe zu seinem idealisierten Selbstbild und der Drahtseilakt in der Partnerschaft

Der Begriff Narzissmus umfasst ein breites Spektrum, das von gesunden narzisstischen Eigenschaften bis hin zu ausgeprägten Persönlichkeitsstörungen reicht. Pathologischer Narzissmus beschreibt eine Persönlichkeitsstruktur, die geprägt ist von dem ständigen Streben nach Selbstwerterhöhung und Bewunderung, einer markanten Anspruchshaltung, Überlegenheitsgefühlen und einer geschickt verborgenen, aber tief verwurzelten Empathielosigkeit.

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Die Ursachen liegen u.a. in einer übermässigen Verwöhnung oder emotionalen Vernachlässigung in der Kindheit, die zusammen mit genetischen und kulturellen Einflüssen die Entwicklung eines gesunden Selbstbildes behindert haben. Betroffene wirken häufig selbstbewusst und charismatisch, fühlen sich innerlich jedoch unsicher, mit wenig Zugang zu ihren eigenen Emotionen. Ihr stetiger Wunsch nach Beachtung und Lob führt dazu, dass sie ambitioniert, risikofreudig, egoistisch und manipulativ agieren. Sie knüpfen gezielt Verbindungen zu strategisch wichtigen Personen und sind dadurch oft erfolgreich in ihrer Tätigkeit. Dabei stellen sie ihre eigenen Wünsche und Leistungen in den Vordergrund und empfinden Kritik als bedrohliche Herabsetzung.

Narzisstisch geformte Paarbeziehungen sind abhängig von der Ausprägung meist schwierig, unausgewogen oder zum Scheitern verurteilt. Kontrolle, emotionale Manipulation, Isolation, Vernachlässigung, Neid und sogar Gewalt können Teil solcher Partnerschaften sein. Zu Beginn der Beziehung zeigt sich dies kaum. Durch sogenanntes „Lovebombing“, einer gegenseitigen Idealisierung sowie einem Gefühl der Verschmelzung erleben beide Partner eine Seelenverwandtschaft und einen Selbstwert-Boost. Doch sobald der anfängliche Reiz nachlässt und das Ego des narzisstischen Partners weniger stimuliert wird, sucht dieser neue Herausforderungen und Aufmerksamkeit ausserhalb der Beziehung. Seine eigenen Ziele und Interessen stehen zunehmend im Vordergrund, während das „Wir-Gefühl“ abnimmt und die Bedürfnisse des Partners kaum noch Beachtung finden. Die Funktionalisierung des Gegenübers mit Erwartung der bedingungslosen Liebe sowie ein Machtgefälle werden spürbar. Diese Veränderung führt dazu, dass sich der Partner stärker anpasst, möglicherweise seine Selbständigkeit verliert und persönliche Grenzen verwässert, um die Beziehung aufrechtzuerhalten. Sex bleibt oft der einzige gemeinsame Nenner, hinterlässt jedoch bei schwindender Innigkeit eine zunehmende Leere. Durch subtile oder offene Abwertungen, Schuldzuweisungen, Gaslighting und Manipulation – etwa durch das Entziehen oder Bekunden von Liebe – entsteht eine emotionale Abhängigkeit. Den narzisstischen Partner zufrieden zu stellen und damit ev. seine Zuneigung zurückzugewinnen, kann zum zentralen Fokus werden und bis hin zur Selbstaufgabe führen. Gleichzeitig sinken die Achtung und Faszination des narzisstischen Partners gegenüber seinem nachsichtigen Partner weiter. Gelingt es dem Paar nicht, ihre Dynamik zu erkennen und die eingespielten Rollen zu verlassen, scheitert die Beziehung oder ist mit viel Leid verbunden.

Häufig ziehen narzisstisch veranlagte Persönlichkeiten Partner an, die ein starkes Bedürfnis haben, es anderen recht zu machen. Diese Menschen haben in ihrer Kindheit nicht selten wenig Zuneigung für ihr wahres Wesen erfahren und wurden stattdessen für angepasstes Verhalten oder das Erfüllen von fremden Idealen belohnt. Auf Kosten ihrer Authentizität haben sie gelernt, ihre eigenen Empfindungen zurückzustellen und die Emotionen anderer zu antizipieren. Sie fühlen sich zu charismatischen, äusserlich starken, gönnerhaften oder erfolgreichen Menschen hingezogen, da sie durch deren Beachtung und Zuneigung eine Steigerung ihres Selbstwertgefühls spüren oder erhoffen. In Wahrheit verstärken solche Beziehungen jedoch meistens das Gegenteil.

Das Erkennen dieser Muster ist der erste Schritt, um sich zu schützen, gesunde Grenzen zu setzen und allfällig die Interaktionsweise in der Beziehung zu ändern. Unsere Beratungsstelle ist regelmässig mit schwieriger Paardynamik konfrontiert. Wenn Sie sich von Ihrem Partner manipuliert, ausgenutzt, herabgesetzt oder unter Druck gesetzt fühlen, suchen Sie bitte umgehend Unterstützung!

Dr. Rebekka Utzinger